Gerade jetzt!

von Paula Dorten

Man schwitzt unter der Maske. Man kratzt sich am Nasenrücken, da wo der Draht scheuert und verabscheut den Gummi, der hinter den Ohren juckt. Die Atemluft des anderen hat man im Nacken. Vom Brüllen und Schreien und Jubeln ist sie feucht und dick. Dick und dünn geht aneinandergedrängt von A zu B. Die Hände sind klebrig und brennen vom Desinfektionsmittel, umschlingen Stäbe und Plakate. So viele Menschen und Babyelefanten teilen ein Ziel.

Warum also streiken gehen, in Zeiten einer Pandemie?

„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“ – Molière

Es ist wichtig und richtig, dass wir uns in dieser Zeit die Maske vor den Mund schieben, den Gummi hinter die Ohren ziehen und den Draht über die Nase biegen. Es ist wichtig dass wir uns von Babyelefanten umringt fühlen und vor dem Händeschütteln zurückzucken, wenn es nicht sein muss. Mehr denn je sind wir verantwortlich für das, was wir tun.

Doch genauso wichtig ist es, dass die Maske vor unseren Mündern nicht zu einem Blatt vor unseren Mündern wird. Es ist wichtig, dass wir unsere Hände nicht schütteln, sie aber in die Höhe strecken, aufzeigen und aufrütteln, dass etwas getan werden muss. Es ist wichtig, dass während die Anzahl der ausgedachten Babyelefanten wächst, die der echten nicht Tag für Tag ausstirbt. Auch in Zeiten einer Pandemie. Mehr denn je sind wir verantwortlich, für das, was wir nicht tun.

Ich, Sie, wir alle merken wie gut oder weniger gut das plötzlich funktioniert, wie sich die Gesellschaft mit einem Mal zusammenreißt und auf „di wie auch auf mi schaut“. Man ist ganz ergriffen und verängstigt von der plötzlichen Sorge und Fürsorge, die die Leute einander entgegenbringen, von der Solidarität die aus dem Nichts erblüht. Woran das wohl liegen mag? Hat die unendliche Nächstenliebe schon immer in uns allen geschlummert und brauchte nur einen kleinen Stups auf die Nase, um aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwachen? Nein. Denn da hätte es in der Vergangenheit genügend kräftigere Stüpse gegeben. Die Flüchtlingswelle 2015 zum Beispiel oder die Hungersnot in Afrika.

Newsletter Kuvert

Melde dich für den Fridays For Future-Newsletter an

Ich bin damit einverstanden, dass meine personenbezogenen Daten für Werbezwecke verarbeitet werden und eine werbliche Ansprache per E-Mail erfolgt. Die erteilte Einwilligung kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in jeder angemessenen Form widerrufen. Es gelten unsere Datenschutzbedingungen.

Vielmehr hat es damit zu tun, dass wir die Krise auch bei uns eine Krise nennen können. Das Corona-Virus ist nichts, von dem wir nur Bilder in den Nachrichten sehen, nur Wörter in der Zeitung lesen, oder Zahlen im Radio hören. Sie ist nichts womit wir leben können, aus unserm Kopf verbannt und verdrängt. Sie ist etwas womit wir leben müssen. Da gibt es kein abdrehen, wegschauen, übersehen, weil sie jeden Tag allgegenwärtig ist.

Abdrehen, wegschauen, übersehen gibt es nur, wenn wir Bilder von den schmelzenden Gletschern und Polarkappen sehen oder der größten Müllinsel der Erde, die 4,5 Mal so groß ist wie Deutschland. Kurz sind wir betroffen, bedrückt, aber nur, bis uns irgendwer von etwas Unwichtigerem, Belangloserem erzählt, denn wirklich BETROFFEN sind wir in Österreich nicht. So ähnlich wie am Anfang der Corona-Krise eigentlich, oder? WIR waren nicht betroffen. Nur China. Wir nicht. Jetzt wünschen wir uns, wir hätten sie früher entdeckt und Maßnahmen ergriffen. Ergriffen und erschreckt waren wir über das Ausmaß der Pandemie und sind umsichtig und vorsichtiger geworden. Wir haben begonnen uns zu fragen, was uns und andere in Gefahr bringt, worauf wir verzichten müssen, und was wir weiterhin tun können. Durch das häufigere Kochen zu Hause haben wir uns daran gewöhnt regional und biologisch einzukaufen. Mit einem Mal wurden uns die enormen Auswirkungen unseres Flugverhaltens bewusst. Die Bewohner der Metropolen Chinas haben aufgeatmet, als in der Dichte der Smog-Wolken das Blau des Himmels wieder zum Vorschein kam. In den klar gewordenen Kanälen Venedigs haben sich seltene Meeresbewohner getummelt.

Wer weiß? Vielleicht macht uns die Pandemie letzten Endes noch zu besseren Menschen?

Aber warum nicht warten bis der Höhepunkt der Corona-Krise überwunden ist?

In Sachen Klimakrise sind wir ganz bestimmt in einem Dornröschenschlaf. Wir haben die letzten Jahrhunderte laut geschnarcht, unaufhörlich geträumt. Jetzt langsam wachen wir auf. Jetzt langsam läutet unser Wecker mit einem Klingelton von Naturkatastrophen und Artensterben. Aber wir wollen noch ein bisschen warten, ein bisschen schlafen, ein bisschen dösen und auf die Schlummertaste drücken.

Nur bleibt uns leider keine Zeit. Wir sind die letzte Generation, die noch effektiv etwas gegen den Klimawandel unternehmen kann! Warum? Weil 2100 nur noch der höchste Punkt des Addu-Atoll (einem Teil der Malediven) über den Meeresspiegel ragen wird. Weil die Korallenriffe ausbleichen und sterben. Weil sich die Meere erhitzen und ansteigen. Weil unser gesamtes Ökosystem kippt und den Bach herunterläuft. Weil wir in diesem ÜberFLUSS leben und seine Fische töten.

Autorin und Klimaaktivistin

Teile diesen Artikel auf

Songtexte