Sozialpolitik durch Klimapolitik
von Ivo Wakounig
Die SPÖ sollte endlich im 21. Jahrhundert ankommen.
Foto: Fridays For Future
Gesundheitliche Risiken aufgrund von Hitzeinseln
In meiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Johanniter Unfallhilfe erlebte ich jeden Sommer dieselbe Geschichte: Wir werden zu einem Einsatz mit „Status unbekannt“ oder „Synkope“ (d.h. Kreislaufkollaps) gerufen, und werden bereits von den verzweifelten Verwandten erwartet. Vor Ort finden wir eine alte Person auf, die nicht mehr ansprechbar ist. Die Haut – Papier. In der überhitzten Wohnung und aufgrund von Wassermangel hat die körpereigene Kühlung versagt. Das Spital ist die einzige Rettung.
So zehrend diese Einsätze waren, fand ich trotzdem spannend, dass sie immer in den Wiener Bezirken stattgefunden haben, die zu den ärmeren Gegenden Wiens zählen – Ottakring, Rudolfsheim-Fünfhaus oder Favoriten. Ärmere bzw. sozial benachteiligte Menschen leiden überproportional an den Folgen der Klimakrise – das wurde mir durch die Rettungseinsätze immer mehr bewusst. Die Menschen haben weniger Zugang zu Grünraum, konsumfreien öffentlichen Raum und kühlende Orte als die wohlhabendere Bevölkerung bzw. können sich zum Teil einfach keine Klimaanlage leisten.
Bis 2050 soll es in Wien um insgesamt 8°C wärmer werden, so ein Bericht der Stadt Wien. 8°C! Und am stärksten in genau jenen Bezirken, in denen ich zu Rettungseinsätzen aufgrund von Hitzeopfern gerufen wurde. Man muss kein*e Wissenschaftler*in sein, um sich auszumalen, wie fatal die Folgen für die Bevölkerung sein werden. Jeden Sommer müssten abertausende Menschen aufgrund der stärker werdenden Hitzewellen ärztlich betreut werden. Die Klimakrise ist nicht nur ein gesundheitliches, sondern auch ein soziales Problem. Lasst sie uns daher lösen, damit Wien eine lebenswerte und sozial gerechte Stadt bleibt!
Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität
Was eine ambitionierte und effektive Klimapolitik angeht, wurden die letzten Jahre und Jahrzehnte leider verschlafen. Ein fataler Fehler. Viel Leid und Schaden hätten verhindert werden können, wenn die Politik die ideologischen Barrieren abgelegt und sich um die Zukunft der Menschen gekümmert hätte. Jetzt haben wir die letzte Chance, eine lebenswerte Zukunft für die Menschen zu bereiten.
Wien hat sich das Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu werden. Man muss sich nur vorstellen, dass das ein genauso langer Zeitraum ist, wie ein Mensch zur Volljährigkeit braucht. Die Klimaneutralität Wien steht quasi vor der Tür! Und in diesem Zeitraum müssen die CO2-Emissionen Wiens von 11 Millionen Tonnen pro Jahr auf 0 reduziert werden.
Was nach einer schwierigen Herkulesaufgabe klingt, ist es auch. Es wird definitiv kein Zuckerschlecken, aber es ist machbar. Der Plan für CO2-freien Strom bis 2030 ist bereits auf Schiene, und die großen Brocken liegen im Gebäude und Verkehrssektor. Bei den Gebäuden muss man auf der einen Seite schauen, dass nachhaltige und CO2-freie bzw. -arme Materialien verwendet werden. Außerdem müssen wir bei den Heizungen raus aus Gas und rein in die viel effizienteren Wärmepumpen und Geothermie. Letztendlich brauchen wir eine Sanierungs- und Dämmungsoffensive in Wien. Es kann doch nicht sein, dass wir die Straße heizen, weil die Häuser undicht sind. Besonders sozial benachteiligte Menschen leben in Gebäuden, die schlecht gedämmt sind. Dies ist nicht nur eine soziale Katastrophe, da die Heizkosten in die Höhe schießen, sondern für das Klima ist das auch schlecht. Eine Dämmungsoffensive ist eine Sozialoffensive. Den Menschen bleibt mehr im Geldbörserl und für das Klima ist das auch gut.
In Städten wie Wien ist der Plan für eine Reduktion der Emissionen im Verkehr eigentlich auch simpel: viel mehr Öffis und Radwege. Zwar besitzt Wien bereits ein gutes Öffi-Netz, aber in den Rand- und Flächenbezirken ist es noch ausbaufähig. Besonders an der Dichte muss gearbeitet werden. Auch Radwege sind, abseits von Gürtel und Ring, Mangelware oder schlecht umgesetzt. Baulich getrennte Radinfrastruktur ist dringend notwendig, damit sich die Menschen auch trauen, auf das Rad umzusteigen. Ich verstehe jeden Menschen, der aus Angst, von einem mörderischen Auto oder LKW überfahren zu werden, auf das Fahrrad verzichtet. Mehr Raum für aktive Mobilität hat den Vorteil, dass die Menschen gesünder leben und weniger anfällig für Krankheiten sind. Besonders in der Covid-Pandemie haben einige ein kleines Reservoir angesetzt, das nur darauf wartet, abgeradelt zu werden.
Mehr Öffis und Radwege schließen auch mit ein, dass keine weiteren Straßen für den motorisierten Autoverkehr gebaut werden. Bei fossilen Großprojekten wie der Stadtstraße oder dem Lobautunnel spricht die Wiener SPÖ gerne von Verkehrsentlastung. Dies widerspricht jeglicher Evidenz. Nicht nur zeigen die Verkehrsanalysen, dass der Verkehr nicht reduziert wird, sondern - noch schlimmer - wahrscheinlich sogar steigen wird. Wie kann das sein, dass durch den Bau neuer Straßen neuer Verkehr kommt? Bei diesem Phänomen spricht man von induziertem Verkehr. Kurz gefasst: Mehr Straßen, mehr Verkehr. Nicht überzeugt? Man muss nur auf den Wiener Gürtel schauen, um zu sehen, ob Autoverkehr tatsächlich sinnvoll für die Stadt ist. Mitten in der 8-spurigen (4 pro Richtung) Straße fährt die U6, die klimafreundlich mehr Menschen schneller transportiert. Und sozial ungerecht ist die Autopolitik leider auch. Um beim Beispiel des Gürtels zu bleiben: Wer wohnt denn am Gürtel? Es sind leider sozial benachteiligte und schwache Gruppen, die unter Lärm und giftigen Abgasen leiden müssen. Die Schickeria macht es sich in den Innenbezirken und im Speckgürtel fein, ohne gesundheitsschädliche Abgase und Lärm. Auch wird oft ignoriert, dass nur 1/3 der Wiener Bevölkerung ein Auto besitzt, während gleichzeitig 2/3 des öffentlichen Raumes dem Auto gehören (Straßen, Parkplätze, …). Verteilungsgerechtigkeit schaut anders aus.
Klimawandelanpassung oder doch lieber Klimapolitik
Vor einer Weile hat die neue Wiener Stadtregierung unter der Leitung der SPÖ Wien verkündet, 100 Millionen Euro in Begrünungsmaßnahmen für die Stadt zu investieren. Das ist ganz klar eine unglaublich wichtige Maßnahme. Diese Begrünungen sorgen dafür, dass Hitzeinseln, unter denen viele sozial Benachteiligte leiden, entschärft werden und die Luft in der Stadt atembarer wird. Außerdem wird das Stadtbild verbessert und die Aufenthaltsqualität auf der Straße verbessert.
So gut diese Maßnahme auch ist, umso verstörender ist, dass gleichzeitig 460 Millionen Euro in den Bau der Stadtstraße investiert und mehrere Milliarden Euro beim Lobautunnel in den Sand gesetzt werden sollen. Wie bereits erwähnt, ist die damit angestrebte Verkehrsreduktion ein Märchen und entspricht nicht der Faktenlage. Autoverkehr wird durch konsequenten Ausbau von Öffis und Radinfrastruktur reduziert. Noch schlimmer, wird der Bau dieser fossilen Großprojekten zu höheren CO2 Emissionen führen. Um es noch einmal zu verdeutlichen: In 19 Jahren möchte die Stadt Wien CO2-neutral sein.
Das ist ein ganz klarer Zielkonflikt: Entweder CO2-Neutralität oder fossile Großprojekte. Dass die SPÖ Wien trotzdem der Meinung ist, dass beide Ziele vereinbar sind, ist vielen ein Rätsel. Das ist so, als würde eine Person sich dazu entscheiden, gesund zu leben und dafür jeden Tag einen Apfel zu essen. Und weil sich die Person denkt, dass die durch den Apfel gesund lebt, kann sie jetzt jeden Tag zusätzlich noch eine Tafel Schokolade essen. So funktioniert das nicht. Die Schokolade ist genau so schädlich für den Körper, wie der motorisierte Autoverkehr für die Stadt. Lasst uns unserer Stadt zu Gesundheit verhelfen!
Die SPÖ Wien muss erkennen, dass eine aktive Klimapolitik viele positive Nebeneffekte bringt. Die Leute werden gesünder, die Luft wird atembar, die Menschen haben mehr Geld, öffentlicher Raum ist wieder für alle da, die Klimakrise wird entschärft. Und am wichtigsten ist, dass besonders sozial Schwache davon profitieren werden. Daher, liebe SPÖ Wien: Macht endlich Sozialpolitik durch Klimapolitik! Die Menschen brauchen es, die Menschen brauchen euch.