Klimatisierte Stadien in der Wüste und tausende Tote: Die Fußball-WM in Katar

von Marlene Schneider , Philipp Laubender und Nico Tolks

Stadion 974 aus Schiffscontainern in Doha, Katar

Foto: Quelle: https://www.dw.com/de/stadion-974-katars-plaene-zur-klimaneutralen-wm/a-59929181

1. Klimaneutrale Fußball-WM oder doch Greenwashing?

Die Fußball-WM in Katar 2022 soll laut des Fußball-Weltverbandes FIFA vollständig klimaneutral sein. [1] Von Klimaneutralität wird dann gesprochen, wenn sich durch die Produktion einer Sache die Menge an klimaschädlichen Treibhausgasen in der Atmosphäre nicht erhöht. [2] Die Ausrichtung des Turniers, der Bau von neuen Fußballstadien sowie die Anreise und Unterbringung der Fans verbrauchen jedoch jede Menge Treibhausgase. Kann diese WM also tatsächlich klimaneutral sein? Wohl kaum!

Vor kurzem hat die FIFA ihren Bericht zur Nachhaltigkeit dieser Fußball-Weltmeisterschaft vorgestellt. 3,6 Mio tCO2e (= Tonnen CO2-Äquivalent) soll das Turnier insgesamt verbrauchen. Die meisten Emissionen entfallen mit knapp 52% auf die damit verbundenen (An-)Reisen, 24% auf den Bau neuer Infrastruktur sowie 20% auf die Unterkünfte. [3]

Sieben der acht WM-Stadien wurden extra für diese Weltmeisterschaft neu errichtet, die wenigsten werden danach jedoch noch angemessene Verwendung finden. Das Stadion 974 in Doha, welches aus Schiffscontainern besteht, soll direkt nach der WM wieder abgebaut und an einem anderen Ort wiederaufgebaut werden. Die FIFA gibt dafür sehr geringe Treibhausgas-Emissionen in ihrem Bericht an. Wie kommt das? Die Antwort: Sie rechnet sich die Zahlen schön! Es wird von einer Betriebszeit der Stadien von etwa 60 Jahren ausgegangen. Davon sieht sich der Fußball-Weltverband allerdings nur für insgesamt 70 Tage verantwortlich. Dementsprechend erkennen sie auch nur den CO2-Ausstoß für diese 70 Tage anteilig an. [3]

Dies entspricht gerade einmal 0,3% der tatsächlich verursachten Emissionen. [4] Britische Wissenschaftler der Lancaster University gehen insgesamt von weit mehr als 10 Millionen tCO2e Emissionsverbrauch aus. [5]

Dazu kommt, dass Qatar Airways, eine katarische Fluglinie und wichtiger Partner der WM 2022, bis zu 160 Pendelflüge für Fans aus Nachbarländern von Katar organisieren wird. Dies liegt daran, dass es im Gastgeberland nicht genügend Übernachtungsmöglichkeiten gibt. [6] So werden beispielsweise Fans vom benachbarten Emirat Dubai täglich zu den Spielen nach Doha geflogen.

Auch die Tatsache, dass bis auf ein Stadion alle künstlich gekühlt werden, stellt die Klimaneutralität der Weltmeisterschaft in Frage. Die Emissionen, welche durch die Klimaanlagen anfallen, sollen angeblich vollständig kompensiert werden. Dies hätte trotzdem verhindert werden können, wenn das Turnier nicht mitten in der Wüste bei über 30 Grad Außentemperatur stattfinden würde. [6]

Für die Idee der klimaneutralen Fußball WM 2022 geben die FIFA und der Staat Katar an, die entstehenden Emissionen an Treibhausgasen zu kompensieren. Ein Teil davon soll über das Pflanzen von Bäumen, Sträuchern und Pflanzen geschehen. Die deutsche Umwelthilfe sieht dies aufgrund der klimatischen Verhältnisse in Katar jedoch als sinnlos an. Junge Bäume brauchen viel Wasser, welches in einem Wüstenstaat wie Katar energieintensiv über Entsalzungsanlagen aufbereitet werden muss. Außerdem besteht eine generelle Kritik an Kompensationsmaßnahmen. Wieso? Es dauert Jahrzehnte, bis Bäume CO2 in größeren Mengen aufnehmen können. Gleichzeitig wird dieses aber auch wieder freigeben, sobald sie sterben, abgeholzt werden oder abbrennen. [5]

Qatar Airways bietet Pendelflüge von Dubai nach Doha zu den WM-Spielen an

2. Wie steht es um Arbeitsbedingungen und Menschenrechte in Katar?

Bereits Anfang des Jahres 2021 wurde bekannt, dass über 6.500 Arbeitsmigrant*innen in Katar seit Beginn der Bauprojekte für die WM 2022 zu Tode gekommen sind. [7] Amnesty International geht davon aus, dass 15.000 Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit von 2010 bis 2020 gestorben sind. Viele von ihnen kamen aus Ländern wie Indien, Nepal oder Bangladesch nach Katar, um einen Weg aus der Armut zu finden und dort für besseres Geld zu arbeiten. [8,9]

Doch vor Ort erwarteten sie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen. Realität ist, dass vielen von ihnen falsche Versprechungen bezüglich der besseren Bezahlung und der Situation vor Ort gemacht wurden. Viele werden nicht oder zu spät bezahlt und leben in überfüllten Quartieren mit unzureichenden Sanitäranlagen. Eine 6-Tage Woche mit 12-Stunden Tagen inmitten staubigen Asphaltes sowie Nachtarbeit wegen der Hitze untertags stehen auf der Tagesordnung. Freizeit, oder sogar Urlaub - Fehlanzeige! [9,10,11]

Laut eines Berichts von Amnesty International sei die wahrscheinlich häufigste Todesursache 'stundenlange Arbeit in extremer Hitze'. Hunderte Leben hätten durch angemessene Schutzmaßnahmen gerettet werden können. Die katarischen Behörden untersuchen jedoch meist die Todesursachen der Opfer nicht genau. 

NGOs wie Amnesty International fordern nun völlig zurecht einen Entschädigungsfonds für die Arbeiter*innen von FIFA und dem Land Katar in Höhe von 440 Millionen Dollar - die Höhe des WM-Preisgeldes. [8,12]

Ein weiteres Problem ist die katastrophale Menschenrechtslage in Katar. Es steht durch das vorherrschende Regime sehr schlecht um die Meinungs- und Pressefreiheit im Land. Laut Reporter ohne Grenzen liegt Katar auf der Rangliste der Pressefreiheit nur auf Platz 119 von 180. [13]

Durch die männliche Vormundschaft werden Frauenrechte in Katar stark eingeschränkt. [14] Darüber hinaus herrscht eine ausgeprägte Diskrimierung von LGBTQIA+ Personen. Erst vor einer Woche hat der katarische WM-Botschafter Khalid Salman Frauen als Süßigkeiten und Homosexualität als 'geistigen Schaden' bezeichnet. [15] Human Rights Watch dokumentierte willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen von Mitgliedern der LGBTQIA+ Community. [16] Ist es denn für LGBTQIA+ Fans, die für die WM 2022 nach Katar reisen wollen, dort sicher? Leider nein.

Arbeiter einer Stadion-Baustelle in Katar

3. Bleibt Fußball für immer eine Klimasünde?

Die nachweislich gekaufte WM ist jedoch nicht das einzige fragwürdige Fußball-Großereignis der letzten und kommenden Jahre - vor allem aus Sicht des Klimaschutzes! Die WM in Russland 2018 verursachte mehr als acht Mal so viel Treibhausgas-Emissionen wie eine gesamte Formel-1-Saison. [17,18]

Die Europameisterschaft 2020 wurde anstatt wie zuvor in ein oder zwei Gastgeberländern auf dem ganzen Kontinent ausgetragen, was für einige damit verbundene Flugreisen sorgte. [19] Bei der WM 2026, welche in den USA, Kanada und Mexiko stattfinden soll, wird Ähnliches der Fall sein. [20] Klimabewusstsein sieht deutlich anders aus!

Doch auch abseits der Großevents fliegen die Mannschaften während der Saison für den Ruhm ihrer Vereine quer über den Kontinent. Top-Teams erkaufen sich ihren Erfolg durch Eigentümer und Sponsoren, die ihr Geld mit fossilen Brennstoffen verdienen. Nicht gerade umweltfreundlich - Das muss sich ändern, denn auch Fußball wird weltweit von der Klimakrise betroffen sein!

Ein Viertel der 92 englischen Profi-Vereine könnte in den nächsten drei Jahrzehnten regelmäßig mit Überflutungen zu kämpfen haben. [21] Für Traditionsvereine wie Werder Bremen, den HSV oder Ajax Amsterdam könnte der steigende Meeresspiegel zum Problem werden. [22] Gerade deshalb sollte der Fußball einer der größten Klimabotschafter sein und eine Vorbildfunktion in der Klima- und Energiekrise sowie als Botschafter für Menschenrechte einnehmen!

Es gibt hier enormes Potential für Veränderung und Verbesserung zur Bewältigung der Krisen, denn alleine eine Milliarde Menschen verfolgen die Premier League - zu Anlässen wie einer Weltmeisterschaft sind es sogar rund die Hälfte der Weltbevölkerung! [23] Auch hier gilt: ‘There is no football on a dead planet!’

Quellen:

[1] https://www.qatar2022.qa/en/sustainability

[2] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/klimaneutral-was-bedeutet-das-eigentlich

[3] https://carbonmarketwatch.org/wp-content/uploads/2022/05/Poor-tackling_-Yellow-card-for-2022-FIFA-1.pdf

[4] https://www.nzz.ch/sport/wm-2022-betreibt-die-fifa-greenwashing-ld.1707373

[5] https://www.zeit.de/sport/2022-11/wm-2022-klimaneutralitaet-fifa-katar-greenwashing/komplettansicht

[6] https://www.sportschau.de/fussball/fifa-wm-2022/wm-katar-das-maerchen-von-der-klimaneutralitaet-100.html

[7] https://www.theguardian.com/global-development/2021/feb/23/revealed-migrant-worker-deaths-qatar-fifa-world-cup-2022

[8] https://www.amnesty.at/themen/wm-in-katar-2022/ausbeutung-und-todesfaelle-wie-arbeitsmigrant-innen-fuer-die-fifa-wm-in-katar-leiden

[9] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/wm-katar-arbeiter-nepal-101.html

[10] https://www.derstandard.at/story/2000139608138/glaenzende-stadien-und-ein-ehrlicher-geheimdienstler-auf-besuch-in-katar

[11] https://www.derstandard.at/story/2000140771521/wie-katar-seine-toten-gastarbeiter-leugnet-und-welche-rolle-europa

[12] https://www.amnesty.at/presse/todesfaelle-von-arbeitsmigrant-innen-werden-nicht-untersucht-zeigt-ein-bericht-von-amnesty-international/

[13] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/katar

[14] https://www.hrw.org/de/news/2021/03/29/katar-maennliche-vormundschaft-schraenkt-frauenrechte-stark-ein

[15] https://www.wienerzeitung.at/meinung/kommentare/2167259-Der-ignorante-Herr-Khalid-Salman.html

[16] https://www.hrw.org/news/2022/11/10/qatar-world-cup-ambassadors-homophobic-comments-fuel-discrimination

[17] https://digitalhub.fifa.com/m/a96fa2c95a79242/original/bs36nsonccbtfs5v7ppu-pdf.

[18] https://www.formula1.com/en/latest/article.net-zero-carbon-how-formula-1-is-going-to-meet-this-ambitious-target-by-2030

[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Fu%C3%9Fball-Europameisterschaft

[20] https://en.wikipedia.org/wiki/2026_FIFA_World_Cup

[21] https://www.theguardian.com/football/blog/2022/may/06/football-must-do-more-to-tackle-climate-change-this-is-how-clubs-and-fans-can-help

[22] https://www.welt.de/wissenschaft/article202781106/Klimawandel-Hochwasser-bedroht-mehr-Menschen-als-angenommen.html

[23] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/387554/umfrage/anzahl-der-sportfans-weltweit/

act now or swim later 🐳
all over Außenkommunikation bei Fridays For Future Austria :)

Koordinator des Arbeitskreises Workshops & Vorträge sowie Teil des Presse- & Fototeams

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