Erde brennt, aber wir brennen nicht aus
von Paula Dorten
Wir können unser Schicksal noch selbst wählen.
Foto: Marko Mestrovic
Weltweiter Klimastreik am 23. September 2022
Bei meinem ersten Klimastreik habe ich mich nicht getraut, laut zu schreien. Ich habe aufgeschaut zu den Menschen mit Megafon in der Hand und funkelnden Augen.
Bis dahin habe ich es nicht gekannt. Das Gefühl von Selbstermächtigung und dem Mut zur Hoffnung. Davor war der Gedanke an die Klimakrise schlicht in Verzweiflung getränkt. Klimaschutz war in meinem Kopf gleich Bambuszahnbürste und „Sag bye zu Stand-by“. „Wenn das nur alle machen“, habe ich mir gedacht, „dann wird sich was ändern“. Natürlich machen das nicht alle, in einem System, das klimaschädliche Lebensweisen bevorzugt. Natürlich änderte sich nichts. Da steckt viel mehr dahinter. Fossile Subventionen, mächtige Großkonzerne, neokoloniale Ausbeutung durch kapitalistische Gewinnmaximierung. Ich war verloren. Die Politik tat nichts und ich war lange noch nicht alt genug, um wählen zu gehen.
Auf meinem ersten Streik begann ich zu verstehen, was Demokratie wirklich bedeutet. Das Zurückholen der Straßen und mitbestimmen. Ich musste nicht 16 sein, um meine politische Stimme zu erheben. Wir waren so viele und wurden mehr. Und plötzlich war ich überzeugt, dass sich etwas ändern würde. Unsere Proteste würden Politik und Wirtschaft zwingen, Klimagerechtigkeit über Profit zu stellen.
Das ist über zwei Jahre her. Langsam fühle ich mich aufs Neue in Verzweiflung getränkt. Komisch ist das schon. Je mehr Aktivismus ich mache, desto größer wird meine Angst vor der Klimakrise. Am 23.09 ist der nächste Weltweite Klimastreik und ich habe aufgehört zu zählen, der wievielte das ist. In den Wochen davor wird reingebuttert, was geht. Programm organisiert, Presseaussendungen geschrieben, Menschen mobilisiert. Ständig To-dos im Hinterkopf. Alles eigentlich Freizeit. Jetzt Vollzeitaktivismus.
Aber da ist ein Elefant im Raum. Wird der 10. Klimastreik überhaupt noch etwas ändern? Es ist die Frustration, die uns auslaugt und diese Frage stellen lässt. Eh alles wurscht, weil wir soundso gegen die Wand fahren? Wir werden ähnliche Forderungen stellen wie noch vor einem Jahr, es werden dieselben Artikel folgen, dieselben schuldbewussten, vagen Zugeständnisse der Politik. Und schließlich wird der elfte Weltweite Klimastreik kommen. Dann der Zwölfte, der Dreizehnte. Eine zermürbende Routine.
Gerade geht die Welt drunter und drüber und unter. Der Planet wird unbewohnbar, folgenden Generationen die Ressourcen geraubt und der globale Süden vom globalen Norden ausgebeutet. Ich habe Angst, die Nachrichten zu lesen, weil die Schlagzeilen nur mehr aus Klimakatastrophen bestehen. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, Krieg war schon „immer irgendwo“, aber seit Februar ist er auch in Europa. Die Wirtschaft wankt und während das Leben für die Menschen immer teurer wird, machen fossile Großkonzerne wie die OMV Milliardengewinne. Die Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas hat uns in die Energiekrise getrieben, aber anstatt endlich auf Erneuerbare umzustellen, krallt sich die Politik weiterhin an die veralteten fossilen Strukturen und finanziert damit den Krieg mit. Es fließt längst nur noch Blut durch die Pipelines.
Seit über 600 Tagen gibt es in Österreich kein Klimaschutzgesetz und das Erneuerbaren Wärme Gesetz ist immer noch ein leeres Versprechen. Die Niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl - Leitner verweigert den Ausbau von Windrädern, obwohl wir die Energiewende in Österreich ohne nicht schaffen können. Den “Kampf gegen die Windmühlen” können wir nur verlieren. Der Bundeskanzler sagt im Sommergespräch, dass ihm das Klimaschutzgesetz quasi wurscht ist. In Österreich steigen die Emissionen weiterhin. Die Gletscher sind Schnee von gestern. Überraschen tut uns das nicht mehr. Aber die Klimakrise können wir mit Greenwashing und klangvollen PR - Floskeln nicht bewältigen. Ich packs nicht mehr.
Aber dann lasse ich die letzten Jahre Revue passieren. Der Stopp der Salzburger Mönchsberggarage und der Wiener Lobauautobahn, die ständige Debatte in den Medien. Ein bisschen was haben wir ja dann doch erreicht in den letzten Jahren. Wir sind laut auf der Straße und laut in den Medien. Politik und Wirtschaft kommen in Bedrängnis. Die Klimakrise ist längst kein Zukunftsszenario mehr, sie ist Gegenwart. Und es bleibt längst nicht bei den Streiks. Wenn Verantwortliche die Ohren und Augen vor unseren Sprüchen und Bannern verschließen, dann müssen wir uns an die Straßen ketten, um wahrgenommen zu werden. Da werden Baustellen besetzt und Natur gerettet, Straßen blockiert und wieder ein Stückchen Utopie zur Wirklichkeit. Genauso radikal und vielfältig wie die Ignoranz der Politik, ist auch unser Widerstand.
Wir nehmen unsere Zukunft selbst in die Hand, weil die Politik sie fallen lässt. Wir fordern eine Übergewinnsteuer, die eine sozial und ökologisch gerechte Energiegrundsicherung finanziert und ein Klimaschutzgesetz. Es ist unsere wunderbare Sturheit, die uns immer noch unsere Kinne und Streikschilder hochrecken lässt. Unsere Sturheit, mit der wir nach einer lebenswerten Zukunft verlangen, die nicht von Krieg, Ungerechtigkeit und Naturkatastrophen geprägt ist. Wir sind frustriert und denken manchmal ans Aufgeben. Aber wir sind auch der Inbegriff für Veränderung. Wir sind die Zukunft mit der Wissenschaft auf unserer Seite. Die Lösungen liegen seit Jahren auf dem Tisch und wir schreien sie bloß durch Megafone in die Welt hinaus. Wenn weltweit Menschen die Straßen fluten, ist das ein Zeichen der Widerstandskraft. Dann ist es unbeschreiblich, dass wir nach all diesen Jahren immer noch hier stehen. Nicht aufgeben. Zähne zusammenbeißen. „Wenn das nur alle machen“, denke ich mir, „dann wird sich was ändern“. Und langsam wird das wahr. Manchmal stell ich mich an den Rand des Demozugs auf einen Stromkasten und kann sehen, wie die Masse aus dem Horizont strömt, mit Schildern, die im Himmel wackeln. Wenn die Stadt bebt und Fußsohlen Melodien trommeln, schöpfen wir Hoffnung.
In uns allen steckt eine Klimaaktivistin. Wir gehen auf die Straße und gehen nicht mehr weg. Gekommen, um zu bleiben. Egal wie alt, egal wie jung. Klimademos sind bunt und divers, denn die Klimakrise geht uns alle an. Da gibt es Hoffnungssprudel, Musik und Luft, die vor lauter Aufregung knistert. Heute trau ich mich laut zu schreien. Lasst uns gemeinsam „Demo gehen statt untergehen“.