Wir sind Fridays For? - Future!
von Paula Dorten
Foto: Fridays For Future Austria/Lina Rummler
21. Dezember 2018. Wien, Heldenplatz. Die Geräuschkulisse ist ungewohnt, dort in der Mitte beim Reiterdenkmal: Statt dem erregten Fotoknipsen vorweihnachtlicher Tourist*innen nur Sprüche, zwischendurch Musik. Anfangs noch asynchron und holprig, dann immer kräftiger und lauter. „What do we want?“ - Finger in Handschuhen halten Kartonschilder, auf denen die Antwort steht: „Climate Justice!“ Es ist ein Freitag, es ist der erste Streiktag von Fridays For Future Österreich.
„Mein stärkster Moment? Ich denke an unsere Anfänge. In meiner Heimatgemeinde in Tirol unsere erste Mahnwache: 24 Stunden vor dem Rathaus. Mitten im Winter, wir sind zwischen 14 und 17 Jahre alt. Nachts um zehn kommt unser Bürgermeister aus einer späten Sitzung. Und mitten auf dem Vorplatz entsteht eine lebhaft konstruktive Diskussion zum Klimaschutz bei uns in der Gemeinde.“ - Laila (Kufstein)
Vor fünf Jahren, da erwachte etwas in der Gesellschaft. Da regte sich etwas und brach aus. Die “politikverdrossene Jugend”, die “Tiktok - Generation” war plötzlich sichtbar auf der Straße, auf allen Titelseiten. Eine gesellschaftliche Gruppe, praktisch ohne politische Hebel in der Hand, stampfte sich öffentliche Repräsentationsfläche frei.
„Graz - September 2021: Der erste weltweite Klimastreik, den ich mit organisiert habe. Kurz vor zwölf waren kaum Menschen vor Ort. Fünf nach zwölf war gefühlt die halbe Stadt da. Ich mittendrin, als Versammlungsleiterin und Pressesprecherin zugleich – Spoiler: keine gute Idee.“ - Klara (Graz)
Wie wird Protest organisiert, wie wird gestreikt? Das brachten sich junge Menschen in diesen Tagen selbst bei. Es wurden Strukturen geschaffen, Arbeitsgruppen gegründet, Strategien entwickelt. Wir begriffen uns erstmals selbst als politische Wesen und unser Handeln als wirkmächtig.
"Als ich angefangen habe, dachte ich nicht, dass ich in dieser kurzen Zeit einen riesigen Streik mitorganisieren, selbst auf der Bühne stehen und vor über 1000 Leuten reden würde. Obwohl wir nur eine Handvoll Leute waren, haben wir Massen mobilisiert, coole Bands und Redner*innen dabei gehabt und sogar eine Afterparty im Anschluss aufgestellt. Der wohl beste Moment war, als ich am Schluss der Demo bei strahlendem Sonnenschein zu einer meiner Lieblingsbands mit meinen Freunden und einer zufälligen Person im T-Rex Skelett Kostüm getanzt und diesen großartigen Streik gefeiert habe. 10/10 would do it again!“ - Jan (Linz)
Das war fremd, das war neu. “Dürfen die das?”, “Ist das nicht zu radikal?”, fragte man und damit schwappte die Diskussion auf den Rest der Gesellschaft über. Die Klimakrise war plötzlich im Zentrum der Debatte und des öffentlichen Bewusstseins. Und große Teile der Bevölkerung solidarisierten sich, begriffen sich als Part eines großen Ganzen, das zuvor in politischer Apathie zersplittert gewesen war. Sichtbarkeit mit scheinbar endlosen Menschenströmen auf den Hauptstraßen. Schilder über den Köpfen tanzend, über Alten, über Jungen.
„Der Moment, an den ich mich bis heute erinnere: 7-jährige Volksschüler*innen mit Faschingsmasken, die Tiere darstellten und ins Megaphon riefen: "Wir sind wild, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!" So laut wie sie nur konnten, in der Hoffnung, dieses Mal nicht von den Verantwortlichen überhört zu werden.“ - Klara (Graz)
Dann kam die Pandemie und mit ihr die Lockdowns. Die Menschen gingen von den Straßen und mit ihnen der Protest. Also trafen wir uns digital, verlegten Organisation und Austausch in Rechteckform auf den Bildschirm. Das war ein Schlag, unser zentraler Handlungsraum blieb leer, doch aus der politischen Landschaft waren wir nicht mehr wegzudenken. Mit Online-Streiks (#Netzstreik fürs Klima), Bannern auf den Balkonen und Co. waren wir im diffusen Krisengeflecht so laut wie es eben ging.
„Das F in Fridays steht für Familie. Noch nie habe ich so warmherzige, aufgeschlossene und kritische Menschen getroffen, wie in dieser Bewegung. Was FFF ausmacht? Wir bleiben seit 5 Jahren hartnäckig und kritisch. Wir demonstrieren bei Hitze, Regen, Wind und Sturm und erinnern immer und immer wieder, dass die derzeitige Klimapolitik nichtmal ein “ungenügend” verdient hat. Wir haben dieses Jahr sogar geklagt, denn es ist unser verdammtes Recht, eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen auf diesem Planeten einzufordern. Wir stehen in den nächsten Jahren vor großen Wahlen, daher kann ich nur dazu aufrufen: Werdet aktiv, wir werden gebraucht, Leute!“ - Emma (Wien)
Reden wir heute über die Anfänge, sagen praktisch alle, sie hätten damals geglaubt, die Sache wäre bald gegessen. Millionen Menschen weltweit im Protest, der Status Quo in sich zusammenstürzend, der Ruf nach Klimagerechtigkeit so unüberhörbar. Dass es uns am 21. Dezember 2023, 5 Jahre später immer noch braucht, ist wohl ein Armutszeugnis der Regierungen, ein Beweis, wie festgefahren unser fossiles System ist. Dass es uns 5 Jahre später immer noch gibt, beweist Stärke, beweist Willen. Wir sind gewachsen. Als Menschen, als Bewegung. Wir lernen dazu, wir entfalten uns, als Kollektiv, das gelernt hat zu verändern.
„Junge Menschen gehen immer noch auf die Straßen. Klimabewegungen hören nicht auf laut zu sein. Immer mehr Klimaklagen fordern das Recht auf Klimaschutz ein. Und wir werden nicht aufhören, bis eine lebenswerte Zukunft für alle gesichert ist.“ Lena (Salzburg)
Wir durchleben Tiefen und Höhen. Wir bewältigen die Tiefen, wir feiern die Höhen. Wir zweifeln, wir hoffen, wir handeln. Wie geht das Sprichwort nochmal? „Totgesagte leben länger“, oder so.
“Oh mein Gott, es ist BeReal Time", rufe ich ins Mikrofon. Und tausend junge Menschen zücken ekstatisch ihr Handy. Selfie posten, weiter demonstrieren und die Demo feiern. Von der Bühne am Weltweiten Klimastreik aus freuen wir uns, wie sich die Jugend, und alle, die sich mit uns für unsere Lebensgrundlagen engagieren, ermächtigen und mit einem Bild online zeigen: wir setzen uns für eine schönere, bessere und sicherere Welt ein. Und eines wissen wir: Gemeinsam haben wir die Macht, etwas zu verändern.“ - Daniel (Wien)