So war der Weltweite Klimastreik am 25. März 2022 in Wien
von Paula Dorten
10.000 Menschen haben sich am Freitag Wiens Straßen und damit ein Stückchen Macht zurückgenommen. Wir sind von Frustration und Wut erfüllt, weil wir immer noch hier stehen. Doch gemeinsam wird das zu der Antriebskraft unserer Utopie: einer Welt in Frieden und Klimagerechtigkeit. Am 25. März haben wir diese Botschaft weltweit durch 800 Städte getragen. Wir werden niemals leiser.
Es ist zu warm für diese Jahreszeit. Als ich aus dem Bahnhofsgebäude in die Sonne trete, höre ich Gelächter und Stimmengewirr. Hier ist der Treffpunkt des Demoblocks mit Aktivist*innen von der Lobau-Besetzung und alle haben sich um ein Lastenrad versammelt. Eine Umarmung folgt der anderen. Es ist ungewohnt, so viele vertraute Gesichter auf einmal zu sehen. Die „Familienausflüge“, bei denen wir alle zusammen sind, sind seltener geworden über den Winter. Banner werden ausgerollt, Flyer und Sticker an Passant*innen verteilt. Ich wippe mit den Knien. Nervös, ob sich uns noch jemand anschließen wird. Die Luft knistert. Heute ist Weltweiter Klimastreik. Ein Armutszeugnis unserer Regierung. Ein weiterer Tag, an dem Menschen in Städten rund um den Globus für Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen. Aktivist*innen haben die letzten Wochen und Monate jede freie Minute in diesen Tag gesteckt. Sie haben Redner*innen und Musiker*innen organisiert, Presseaussendungen geschrieben, die Route geplant. Menschen haben Verantwortung übernommen und sind über sich hinausgewachsen. Schlaflose Nächte und kaffeereiche Morgen. Aber heute ist die Stimmung gut. Ich nehme ein Megafon in meine Hände und langsam setzen wir uns in Bewegung. Auf der großen Straße fließen die Mengen zusammen. „Wir sind hier! Wir sind laut!“ Der Frühlingswind trägt unser Schreien durch die Straßen.
Power to the people
Uns allen ist irgendwann richtig heiß, die Stimmen heiser und gebrochen. Aber das Lächeln ist nicht wegzuwischen aus meinem Gesicht. Ich blicke in Augen, die entschlossen funkeln und Münder, die Forderungen nach einer lebenswerten Zukunft in die Welt hinausbrüllen. Alles strotzt vor Wut und Hoffnung. Am Rande der Demonstration höre ich Kinderstimmen durchs Megafon hallen. „Geht Klimastreiken, scheißt auf die Prüfungen!“, schreien sie im Chor. Es ist eine Volksschulklasse mit Warnwesten und selbst gebastelten Bäumen aus Holz. Eine Fotografin beugt sich zu mir: „Weißt du ...“, sagt sie, „das gibt mir Hoffnung für unsere Zukunft“. Ich schlucke und nicke. Mich macht der Gedanke eher traurig. Seit drei Jahren erheben wir unsere Schilder und Stimmen, ziehen demonstrierend durch die Stadt. Und noch immer steuern wir auf eine Erderhitzung von über 3 Grad gegen Ende des Jahrhunderts zu. Die Politik hat sich in dieses System verstrickt, das Profit und Wirtschaftswachstum heiligspricht und ist zu vernarrt in eigene Machtpositionen um daran etwas zu verändern. Sie hat dem Kapitalismus ihr Lachen verkauft. Diese Volksschulkinder, mit ihren Bäumen, die aussehen wie grüngefärbte Wolken, werden in einer Katastrophenwelt leben. Vorausgesetzt, wir machen weiter wie bisher. Aber sie können das alles noch so gar nicht richtig begreifen. Ein bisschen zerreißt mich ihre kindliche Naivität von innen.
Später klettere ich auf einen Brunnen, um die Demonstration überblicken zu können. Ich kann das Ende nicht mehr sehen. Am Horizont verlieren sich der städtische Dunst und die Menschen ineinander. Die Transparente sind verschwommene Farbflecken im Himmel. Nachher weiß ich, dass wir heute 10.000 Menschen waren. 20.000 in ganz Österreich und noch viel mehr auf der ganzen Welt. Das sind 10.000 Menschen, die trotz allem die letzten Reste ihrer Kraft zusammenkratzen, um eine Zukunft einzufordern, weil ihnen einfach nichts anderes übrig bleibt. Nach Jahren der politischen Ignoranz fühlen wir uns oft eingeschweißt in Ohnmächtigkeit. Aber Nichtstun ist keine Option. Der Aktivismus hält uns wach.
Ohne Frieden keine Klimagerechtigkeit
Am Nestroyplatz steht die Sonne schon tief. Die hohen Häuser werfen lange Schatten. Wir nicken uns zu. Es ist Zeit für eine Schweigeminute. Für das Klima und für den Frieden. Die Ukraine ist zu einem Schauplatz geworden in den letzten Wochen. Wir haben gesehen, was Macht mit einem Menschen machen kann. Und was ein einzelner Mensch mit der Welt. Die hält den Atem an. Es ist bizarr. Während Menschen von anderswo auf der Flucht sind oder eingesperrt werden, weil sie die Wahrheit sagen, singen wir laut zu unseren Lieblingsliedern, bemalte Kartons in unseren Händen. Gefühlt grenzenlose Freude. Wir sind hier für den Boykott von russischem Öl und Gas. Wir sind hier für einen Systemwandel, weil das jetzige Menschen tötet. Ich frage mich, was eigentlich los ist, mit dieser Welt. Unsere Forderungen nach einem Ausstieg aus fossilen Energieträgern werden erst gehört, wenn wir damit offiziell einen Krieg finanzieren. Dabei haben wir schon die ganze Zeit einen Krieg finanziert. Gegen unseren Planeten und unser Klima. Und damit auch gegen uns. Wir sehen Bilder von Gebäuden, die aussehen wie Puppenhäuser ohne Fassade. Zerbombt. Eigentlich will ich gar nicht glücklich sein. Wir hocken uns alle hin auf die Knie und schweigen für den Frieden. Weil ohne gibts keine Klimagerechtigkeit. „Manchmal“, sagt jemand, „müssen wir aufstehen, um für unsere Welt zu kämpfen, und manchmal müssen wir uns hinsetzen.“ Das klingt schön und ehrlich. Wir nehmen uns die Straßen zurück.
Manche nennen uns Träumer
Bald sind wir da. Bald zerbröselt sich die Menge und lässt sich im Park vor dem Prater nieder. Die Endkundgebung beginnt. Der Sommer hängt in der Luft und er ist viel zu früh. Die Wiese ist stellenweise vertrocknet.In den Bäumen klettern Menschen bis zur Spitze. Nackte Füße baumeln im Himmel. Nackte Füße tanzen im Gras. Die Bühne leuchtet bunt, bis die Menge strahlt. Wir lauschen Reden, starken Worten, der Musik. Am Rand des Parks wird gerettetes Essen ausgeteilt, bunte Kreiden färben den Asphalt. Hier auf dieser Wiese, an diesem Tag leben wir eine Utopie.
So viele, die sich eine Gesellschaft wünschen, in der die Menschen selbst und unsere Erde oberste Priorität haben. Keine kurzfristigen Gewinne und Bruttoinlandsprodukte. Wir kämpfen für eine intersektionale, demokratische und klimagerechte Welt. Zwischen Bäumen hindurch schallt die Musik. Künstler*innen singen vom Leben, der Liebe, der Erde. Wir fühlen es. Wir sind erschöpft, aber schöpfen Hoffnung. Wir sind getrieben von Zukunftsängsten und dem Wissen, dass die Welt anders aussehen kann. „Im ersten Lockdown haben die Leute gesagt, Fridays For Future überlebt das nicht“, sagt Simon bei der Abmoderation, „Im zweiten und dritten Lockdown dasselbe. Aber wir sind immer noch da!“ Ich muss grinsen. We are unstoppable. Another world is possible.